von Ralf Buchthal und Bianca Weber

Die staatliche Gemeinschaftsschule in dem 6000 Seelen-Dorf Wut-Öschingen im Süd-Schwarzwald von der 1-13. Klasse mit 900 Schülerinnen und Schülern gibt es seit 14 Jahren und ist aus der Umwandlung einer Grundschule und Werkrealschule in sozial schwieriger Lage („Brennpunktschule“) entstanden. Die Schule stand kurz vor der Schließung. Die Schule entschied sich ein neues Schulkonzept. Hierfür hat sie u.a. den deutschen Schulpreis bekommen.

Alle Kinder haben einen eigenen festen und individualisierten Platz zum Lernen

Der damalige Schulleiter Stefan Ruppaner, der mit der Gründung bzw. Umwandlung betraut war, entwickelte mit Schulentwicklern und motivierten Kolleginnen und Kollegen die heutige Ausrichtung der Alemannenschule, die aus folgenden Besonderheiten besteht:

Nicht nur die Schüler, sondern auch die Lehrkräfte (Lernbegleiter) haben einen eigenen Arbeitsplatz
  • die Fachlehrkräfte heißen Lernbegleiter
  • die Schülerinnen und Schüler heißen Lernpartner
  • 15 Kinder sind in einer Klasse, drei Jahrgänge arbeiten jeweils jahrgangsstufenübergreifend zusammen
  • es gibt keinen „klassischen Unterricht“, sondern fachliche Inputphasen, selbstorganisiertes Lernen und Lernen durch Erfahrung
  • Räume werden funktional genutzt (Inputräume, Selbstlern-Räume, Ruhe-Räume, Gruppenarbeitsräume)
  • im Gebäude haben alle Personen Hausschuhe an
  • jeder Lernpartner wird pro Woche 15 Minuten von einem Lernbegleiter gecoacht (eher Beziehungsarbeit als fachliches Coaching)
  • es gibt klare Werte und Regeln sowie eine gemeinsame Haltung, die jeder mitträgt (und wenn nicht, wird darüber gesprochen)
  • die Grundwerte (Anstand, Selbstverantwortung, Wille) sind unseren Werten (RAD) sehr ähnlich
  • Klassenarbeiten heißen Gelingensbedingungen und sind erst mit 80% bestanden
  • der Zeitpunkt der Gelingensbedingungen wird von den Schülerinnen und Schüler innerhalb eines Zeitfensters selbst gewählt
  • die Vera8-Ergebnisse liegen in allen Fächern über dem Landesdurchschnitt
  • die Ergebnisse der zentralen Abiturprüfungen liegen ca. 1 ½ Notenstufen über dem Landesdurchschnitt‚
In den Inputräumen werden die Lerninhalte fachlich angebahnt.

Zu Beginn unseres Besuches stellte die Anfang 30-jährige Konrektorin Patrizia ihre Schule vor und betonte den Unterschied zu „normalen Schulen“, der darin liegt, dass die Alemannenschule statt des „klassischen“ „7-G-Modell“ (alle gleichaltrigen Kinder sollen bei der gleichen Lehrkraft mit dem gleichen Lehrmittel im gleichen Tempo das gleiche Ziel zur gleichen Zeit gleich gut erreichen) sich durch eine „V-8-Begleitung“ (auf vielfältigen Wegen mit vielfältigen Menschen an vielfältigen Orten zu vielfältigsten Zeiten mit vielfältigen Materialien in vielfältigen Schritten mit vielfältigen Ideen in vielfältigen Rhythmen zu gemeinsamen Zielen) auszeichnet. 

Es stehen alle Lernpakete sowohl digital, als auch analog zur Verfügung.

Wie das funktioniert auf der Basis der von der Schule entwickelten Schmetterlingspädagogik, die aus selbstorganisiertem Lernen und Lernen durch Erfahrung (das Dorf als Lernort), durften wir anschließend im 4-stündigen Rundgang selber sehen und erfahren. 

Besonders beeindruckend war die Raumkonzeption, die zum einen ästhetisch und modern und gleichzeitig funktional war (siehe Fotos). Jeder Lernpartner hatte auf dem Schulgelände eine Garderobe, einen eigenen selbst eingerichteten Arbeitsplatz mit Material und trug Hausschuhe (Fußbodenheizung). Die Arbeitsatmosphäre war ruhig und im Flüsterton trotz der Größe und der Anzahl der Lernpartner. 

Gestaltung der Flure – das gesamte Gebäude als Lernort – überall wird gelernt

Ebenfalls bemerkenswert ist, dass es an der Allemannenschule keine Schulbücher zum Lernen (jedoch zum Nachschlagen) gibt, sondern das differenzierte Material aus einem Materialnetzwerk ( https://mnweg.org/ ) entnommen ist, an dem rund 100 Schulen beteiligt sind. Durch Wochenpläne und einer internen Lernplattform wissen die Lernpartner, welche Kompetenzen in welchem Zeitraum zu erwerben und üben sind. Jeder Lernpartner hat ab der dritten Klasse ein iPad zur Verfügung, Handschriftlichkeit wird parallel gefördert. Insgesamt kommt dem Lesen und Schreiben eine hohe Bedeutung zu.

In den Lern-Ateliers ist es stets sehr ruhig.

So wie unsere Schule auf dem Rad (Respekt-Aufmerksamkeit-Disziplin) basiert, hat die Alemannenschule vier Säulen als gemeinsame Haltungsbasis erarbeitet:

Anstand (Wir gehen respektvoll mit Mensch, Tier und Material um). 

Selbstverantwortung
1. Wir machen alles dafür, dass jeder von uns selbstständig lernen kann,
2. Jeder von uns hilft mit, die Umgebung so zu gestalten, dass wir uns wohl fühlen). 

Willen (Mit dem Herzen dabei). Jedem sind diese Leitsätze bekannt und die Einhaltung basiert auf Vertrauen, Beziehungsarbeit und auch Konsequenzen („Klassenrat“, Wiedergutmachung), wenn es mal Lernpartnern nicht gelingt, sich daran zu halten.

Ich, Bianca Weber, nehme aus diesem Besuch erneut mit, wie wichtig es ist, Schülerinnen und Schülern zu vertrauen und (individuell) zu unterstützen im Prozess des schulischen und sozialen Lernens, wie wichtig Beziehungsarbeit und idealerweise ein regelmäßiges Coaching ist (sodass sich jeder SuS kontinuierlich gesehen fühlt und wird), welchen Stellenwert der Raum im ästhetischen Sinne als dritter Pädagoge und Wohlfühlort bedeuten kann und wie wichtig die gemeinsame Arbeit und Haltung von Kollegium, Schülerschaft und Elternschaft ist. Natürlich läuft auch in einer Preisträgerschule nicht alles „perfekt“, doch das ist auch nicht intendiert, da Erfahrungslernen und Erwachsen werden mit Herausforderungen verbunden ist, die man dort – wie auch bei uns auch – gemeinsam angeht.

Ich, Ralf Buchthal, habe erleben können, wie groß das Vertrauen in die Fähigkeiten, Fertigkeiten, aber auch in Selbstverantwortung der Schülerinnen und Schüler ist. Grundsätzliche gehen alle beteiligten Personen von einem Grundvertrauen aus. Die Jugendlichen sind pünktlich, obwohl es keinen Gong gibt (fun fact: den Gong gibt es nicht, da der Schulträger in nach einem Defekt nicht repariert hat). Es ist ruhig und sauber im Gebäude, obwohl es keine Aufsichten (im klassischen Sinne) gibt. Die Kinder verhalten sich gegenüber der Einrichtung respektvoll, obwohl die Schule bereits deutlich vor Unterrichtsbeginn (8:15 Uhr) zugänglich ist (ab 7:30 Uhr). Ich nehme auch mit, dass wir einiges an Potenzial im Gebäude „liegen lassen“ und welches wir bergen sollten. Auch die Art, wie die Lernumgebung (Gebäude und Beziehungen) ihre Wirkung entfaltet, verdient es, sich hier einige Anleihen zu holen und zu erproben. Insbesondere zeigt dieses Schulkonzept, dass eigenverantwortliches, selbstgesteuertes Lernen und Leistungsanspruch (i.S.d. Fachlichkeit) nicht im Widerspruch stehen – im Gegenteil.

Die Ergebnisse der VERA8 und des Zentralabiturs liegen deutlich über dem Landesdurchschnitt.

Was wir ferner mitnehmen und ausprobieren werden, ist dort, wo es möglich ist, eine andere Phasierung der Unterrichtstunden mit mehr selbstorganisierten und differenzierenden Phasen, orientiert an den Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler umzusetzen. Dies setzt voraus, dass es mehr Anlässe zu persönlichen Gesprächen mit den Schülerinnen und Schülern geschaffen werden. 

Wenn Sie Lust haben, mit mir/uns darüber nachzudenken und nach praktikablen Umsetzungen zu suchen und diese auszuprobieren, sprechen Sie uns gerne an. 

Der Lernprozess ist stets transparent – digitales Lernplattform und Portfolio.

Eine Möglichkeit wäre am 2. April 2025 in einer SEG-Spezial-Sitzung, zu der wir Sie herzlich einladen mit dem Titel: „Blick über den Tellerrand – wie gehen anderen Schulen mit aktuellen Herausforderungen um?“. Dazu werden u.a. Frau Fastje, unsere ehemalige Kollegin kommen und Kollegen, die gerade an anderen Schulformen durch die Vorgriffsstellen Erfahrungen sammeln.

Gestaltung der Flure

– Mehr Infos finden Sie unter: https://asw-wutoeschingen.de/

Coaching-Bereich

– Ein Artikel aus der Süddeutschen mit einem zwar provozierenden Titel, jedoch mit einem Inhalt, so wie wir ihn gesehen haben, finden Sie unter:

Kunstraum

https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/gesellschaft/alemannenschule-ruppaner-schule-interview-revolution-unterricht-abgeschafft-e852296

Physikraum
Lern-Atelier