Endlich war es soweit. Nach drei Jahren pandemiebedingten Wartens konnten wir endlich wieder nach Rochefort fahren. Da das Virus im Frühjahr 2020 quasi in letzter Sekunde den Besuch der deutschen Schülerinnen und Schüler in Frankreich vereitelt hatte, durften wir diesmal den ersten Schritt tun und Richtung Atlantik fahren. Und so gingen am 16.01.2023 vierzig hoffnungsvolle Französischlernerinnen und -lerner des Steinbart- und des Mercator-Gymnasiums auf große Fahrt. Wie es sich für eine große Fahrt gehört, dauerte auch die unsere ziemlich lange: Erst nach vierzehn Stunden, in denen die scheinbar unerschöpflichen Ressourcen an Süßigkeiten und Powerbankkapazität unbarmherzig dezimiert wurden, trafen wir in Rochefort ein. In den ein bis zwei Stunden vor der Ankunft wandelte sich die Stimmung an Bord langsam aber unübersehbar. Die ausgelassen-entspannte Ferienstimmung wich der Aufregung, der gespannten Erwartung, unter die sich auch so manche Sorge mischte: Ob das gelernte Französisch reichen würde? Ob es zu so fortgeschrittener Stunde noch etwas zu essen geben würde (noch dazu auch etwas für Nicht-Gourmets Essbares)? Wie man denn in der Januardunkelheit überhaupt seinen Austauschpartner erkennen solle? Fragen über Fragen, die sich in den folgenden Stunden und Tagen — soviel sei sofort verraten — rasch in Wohlgefallen auflösen sollten. Die corres wurden rasch gefunden, das Französische reichte natürlich nie so richtig (auch bei den Lehrern nicht), aber klargekommen sind wir trotzdem. Und niemand ist verhungert, viele aber haben Besonderes gegessen oder zumindest probiert. Und wenn das Frühstück eine Woche lang aus Brioche, einem typisch französischen Hefekuchen, und Nutella besteht, so ist das zwar kein wirklich französisches savoir vivre, aber es ist lecker und so hochkalorisch, dass man auch feuchter Winterkälte trotzen kann.
Dieses für Rochefort eher untypische nasskalte Wetter begleitete die Gruppe in den ersten Tagen unseres Aufenthaltes und verlangte allen Beteiligten eine gewisse Zähigkeit ab, wenn es galt, beim geführten Stadtrundgang die architektonischen Perlen Rocheforts angemessen zu würdigen oder in Saintes das Erbe der Römer und der Kirchbaumeister des Mittelalters zu bestaunen. Entsprechend willkommen waren Innentermine wie das gemeinsame Bowling, bei dem die Austauschpartner gemischtnationale Gruppen bildeten und sich beim Spielen unkompliziert kennenlernen konnten, und der Empfang im schmucken Rathaus der Stadt. Dessen Hausherr, Monsieur le maire, empfing uns in seinem kompletten republikanischen Ornat, hieß uns willkommen und stellte uns seine Stadt kurz vor, während an der Rückwand des Saals eine in bleu-blanc-rouge angestrahlte Büste der Marianne, Personifikation Frankreichs, über die Snacks und Erfrischungen wachte, die uns wenig später kredenzt wurden. Schließlich posierte der Bürgermeister sogar bereitwillig und geduldig für so manches Selfie, was die Snap-Bilanz manches Teilnehmers sicherlich aufbesserte.
Gleich zu Beginn des Aufenthaltes besichtigten wir auch unsere beiden Partnerschulen und erlebten das, was eine französische Schule von ihren deutschen Pendants unterscheidet: Die Tür ist verschlossen, es gibt kein unkontrolliertes Kommen und Gehen, mittags speist man mehrgängig in der cantine, in der ein separater Raum für das Lehrpersonal reserviert ist, und die surveillants (=Aufseher) sorgen für Ordnung. Am Dassault besichtigten einige Teilnehmer zudem die eindrucksvollen Werkstätten dieses lycée polyvalent, dessen Schüler sich in verschiedenen naturwissenschaftlich-technischen Bildungsgängen schon vor dem Abitur gezielt auf eine Karriere bei Airbus, dem größten Arbeitgeber der Region vorbereiten können.
Pünktlich zur Halbzeit unseres Aufenthaltes besserte sich das Wetter. Fortan schien die Sonne und wir konnten unsere Tagesfahrt auf die Île de Ré, das französische Sylt, uneingeschränkt genießen. Auch unser zweiter Aufenthalt in La Rochelle, dessen Altstadt und Meeresaquarium war schon am zweiten Tag besichtigt hatten, standen nun im Zeichen strahlenden Sonnenscheins und ungezügelter Shoppingfreuden. Ähnliches galt für das Wochenende, das die Teilnehmer en famille, also ohne die Gesellschaft ihrer deutschen Freundinnen und Freude, bestreiten mussten. Dies war sicherlich eine gewisse Herausforderung. Notrufe blieben jedoch gänzlich aus. Offenbar boten viele Familien ihren Gästen noch ein attraktives Freizeitprogramm: Einige fuhren zum Trampolinpark, andere ans Meer, auf die Île d’Oléron, manche flanierten durch Rochefort — nun bei Sonne — und beehrten den Markt, bei dem die Fischhalle allein schon einen Besuch wert ist. Und auch am berühmtem pont transbordeur, einer der letzten noch funktionstüchtigen Schwebefähren auf dem Planeten, wurden Mitglieder unserer Gruppe gesichtet.
Am 23.01.2023 hieß es dann Abschied und im Bus Platz zu nehmen. Die Süßigkeiten- und Stromreserven hatten sich in der Zwischenzeit offenbar regeneriert und so stand einer vergnüglichen Rückfahrt nichts im Wege. Unterwegs war viel Gelegenheit zur Rückschau auf die vergangene Woche: Insgesamt waren alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer gut zufrieden. Sie hatten ein Abenteuer bestanden. Sie hatten erfahren, dass ihr Französisch gar nicht so dürftig und sogar zu etwas gut war. Sie hatten Missverständnisse und Nichtverstehen ausgehalten und gesehen, dass man gar nicht alles genau verstehen muss, um sich zu verstehen und zu mögen. „Ich wäre noch länger geblieben“, so das Bekenntnis einer Schülerin. Und zwei andere sagten: „Und jetzt lernen wir richtig gut Französisch und dann fahren wir nächstes Jahr wieder mit, nach Calais.“ Genau so wird’s gemacht! (Bau)